Unser Ziel ist ein fundiertes Verständnis der kognitiven Leistungen des Gehirns. Wir sind der festen Überzeugung, dass dies der einzige Weg ist Menschen zu helfen, die unter vielfältigen Wahrnehmungs-, Bewusstseins- und Bewegungsstörungen leiden, die aufgrund einer Fehlfunktion im Gehirn entstehen.
Der Forschungsschwerpunkt unserer Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik ist, die physiologischen Mechanismen der Wahrnehmung, Kognition und des Gedächtnisses zu verstehen. Wir interessieren uns beispielsweise für die Vorgänge beim Erlernen einer sichtbaren Form, beim Erkennen eines zu sehenden und zu hörenden Objekts, wie der Zuordnung von Gesicht und Stimme, oder beim Entstehen einer Wahrnehmungsentscheidung.
Unsere Forschungsarbeit lässt sich technisch zu der Kategorie 'Systemneurowissenschaft' zuordnen. Sie versteht sich als Teil eines allgemeineren Versuchs, die komplexeste 'Maschine' unserer Welt zu verstehen – das Gehirn. Das ist keineswegs eine rhetorische Behauptung: Das menschliche Gehirn besitzt Schätzungen zufolge etwa 80 Milliarden Nervenzellen. Diese sind durch etwa 80 Billionen Synapsen eng miteinander verbunden. Ein einziges Neuron ist demzufolge im Durchschnitt mit 1000 anderen Neuronen verbunden und kann von jedem beliebigen anderen Neuron aus in höchstens vier Schritten erreicht werden. Nur dieses weit verschaltete und komplexe neuronale Netzwerk ermöglicht uns unsere erstaunlichen kognitiven Fähigkeiten - stellt aber gleichzeitig für die Forscher eine große Herausforderung dar.
Bis heute gibt es keine mathematische Formel, die ansatzweise die Organisation des Gehirns beschreibt. Es ist auch unwahrscheinlich, dass vor Ablauf jahrelangen multimodalen Experimentierens (einschließlich invasiver Studien) und sorgfältiger Datenanalyse solche Formeln entwickelt werden können. Der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman sagte einst, dass Biologiestudenten aufgrund der zahlreichen mathematischen Gleichungen in den Physikbüchern Angst vor der Physik hätten. Das rühre aber lediglich daher, dass die Physik einfach genug sei, um solchen Formalismus zuzulassen – ganz im Gegensatz zur Biologie. Eines der kompliziertesten Forschungsgebiete der Biologie ist die Systemneurowissenschaft.
Unsere Fragestellungen erfordern es, das Verhalten und die neuronale Aktivität zu beobachten. Dabei kommen eine ganze Reihe von invasiven und nicht-invasiven Techniken zum Einsatz. Darunter gehört etwa die Bildgebung mittels Magnetresonanztomographie, elektrophysiologische Ableitungen der Aktivität einzelner oder mehrerer Neuronen mit Mikroelektroden, oder die elektrische Mikrostimulation einer kleinen Anzahl von Neuronen unter Einsatz derselben Art von Elektroden.