Tierversuche sollen dazu beitragen, menschliches Leid zu verhindern oder zumindest zu lindern.
Ein Verzicht auf Untersuchungen an Tieren bedeutet, auch auf die mögliche Behandlung bislang
als unheilbar krank geltender Patienten zu verzichten. Versuche an Tieren stellen Wissenschaftler
deshalb vor ein ethisches Dilemma, denn sie müssen zwischen dem Leid von Tieren und dem
von Menschen abwägen. Für die meisten Menschen ist der Wert eines Menschen höher als der
eines Tieres. Sie halten es daher für gerechtfertigt, Versuche an Tieren zum Wohle von Menschen
durchzuführen. Nur 0,3 Prozent aller Tiere (Stand 2015), die für menschliche Bedürfnisse verwendet
werden, wurden in der Forschung eingesetzt.
Genauso wenig wie ein Astronom für seine Untersuchungen auf Sterne verzichten kann oder
ein Meteorologe auf das Klima, kann ein Biologe nicht ohne lebende Organismen forschen. Wer begreifen
will, wie Organismen funktionieren, muss dazu unter anderem Tiere studieren. Nur dank
dieser Forschung wissen wir heute, wie Tiere in ihrer Umwelt zurechtkommen und was sie zum
Überleben brauchen. Grundlagenforschung bereitet den Boden, auf dem neue Anwendungen gedeihen,
insbesondere auch in der Medizin. Ohne Grundlagenforschung würde der angewandten
Forschung die Basis entzogen.
Grundlagenforschung führt zu einem vertieften Verständnis von Körperfunktionen – und womöglich
auch Fehlfunktionen. Darauf fußt jede neue Therapie. Die Erkenntnisse am Tier lassen
sich dabei sehr wohl auf den Menschen übertragen. Alle Lebewesen haben gemeinsame Urahnen
und sind deshalb mehr oder weniger eng miteinander verwandt. Darüber hinaus hat die
Natur im Laufe der Evolution viele bewährte Abläufe beibehalten. Die Forschung mit Tieren
kann deshalb wertvolle Hinweise für die Ursache von Krankheiten und die Wirkung von Medikamenten
liefern. So führt cholesterinhaltige Nahrung auch bei Mäusen zu Übergewicht, und
ruft Asbest Lungenkrebs auch bei Ratten hervor. Durch Tierversuche lassen sich erwünschte
und unerwünschte Wirkungen vorhersagen. Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Arten
und nicht alles, was für Fische und Mäuse gilt, kann eins zu eins auf den Menschen übertragen
werden. Deshalb muss jedes Medikament und jede Behandlungsmethode noch an freiwilligen
menschlichen Probanden getestet werden, bevor es für den Markt frei gegeben wird.
Das hängt davon ab, woran man den Erfolg festmacht. Das Ziel von Grundlagenforschung ist
nicht, direkt Anwendungen zu entwickeln, sondern zunächst Wissen zu schaffen, das dann
für Anwendungen genutzt werden kann. Wissenschaftler dürfen in Deutschland nur dann
Versuche mit Tieren durchführen, wenn sie für die Klärung einer bislang offenen Fragestellung
unverzichtbar sind. So gesehen trägt jeder qualitativ korrekt durchgeführte Versuch dazu
bei, unser Wissen über die Natur zu mehren. Darüber hinaus gibt es unzählige Beispiele dafür,
dass Versuche an Tieren zu neuen medizinischen Behandlungsmethoden geführt haben:
die Entdeckung des Rhesusfaktors im Blut von Rhesusaffen, die Entwicklung von Operationstechniken
für Organtransplantationen an Hunden und Schweinen oder die Entdeckung
tumorunterdrückender Gene im Erbgut der Maus. Einen Zahlenwert als Erfolgsquote festzulegen,
ist schwer. Eines aber steht fest: Ohne Tierversuche würden viele Menschen wegen
fehlender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten sterben. Tierversuche sagen zudem etwa
70 Prozent der Nebenwirkungen voraus, die ein Wirkstoff beim Menschen auslösen kann. Die
Forschung an Tieren soll verhindern, dass Patienten unwirksame oder vor allem gefährliche
Wirkstoffe erhalten.
Computermodelle unterstützen Wissenschaftler in der Tat bei ihrer Forschung. Mit ihrer Hilfe lassen
sich manchmal mögliche Ergebnisse von Experimenten vorhersagen. So tragen sie zur Reduktion
von Versuchen bei. Solche Simulationen müssen aber einen Realitäts-Check durchlaufen,
denn die Modelle geben die realen Verhältnisse meist nicht exakt wieder. Die meisten biologischen
Vorgänge sind darüber hinaus noch viel zu wenig verstanden, um sie auch nur annähernd
simulieren zu können. Schon die Abläufe in einer einzigen Körperzelle sind viel zu kompliziert, als
dass man sie heute per Computer berechnen könnte.
Auch Zellkulturen helfen Forschern heute, Tierversuche zu vermeiden. Dazu müssen den Tieren
zwar Zellen zunächst entnommen werden, diese können dann aber vermehrt und manchmal über
Jahre hinweg in Brutschränken am Leben gehalten werden. Mit ihrer Hilfe können Wissenschaftler
beispielsweise untersuchen, warum eine Veränderung eines bestimmten Gens eine gesunde
Zelle zur Krebszelle werden lässt. Sobald sie dies aufgeklärt haben, können sie Wirkstoffe dagegen
entwickeln und testen. Zellkulturen machen aber nicht alle Versuche an Tieren überflüssig.
Denn sie bestehen nur aus relativ wenigen Zellen eines einzigen Typs. Der Körper besteht hingegen
aus verschiedenen Organen, die in komplexer Weise miteinander wechselwirken. So können
Forscher zwar in einer Kultur von Leberzellen testen, ob ein Wirkstoff Krebszellen ausschalten
kann, nicht aber, ob er vielleicht in der Niere, in der Haut oder irgendwo sonst im Körper gefährliche
Nebenwirkungen hervorruft. Manche Organe wie beispielsweise unser Gehirn mit seinen
100 Milliarden Nervenzellen sind zudem so kompliziert aufgebaut, dass sich ihre Funktionsweise
nicht mit einer Kultur von einigen tausend Nervenzellen untersuchen lässt. Medikamente gegen
Erkrankungen des Gehirns wie Depression, Angststörungen, Alzheimer oder Parkinson lassen
sich nicht mit Zellkulturen entwickeln.
Mit bildgebenden Verfahren wie Kernspin- und Computertomografie können Forscher und Mediziner
in das Innere des Körpers blicken, ohne diesen zu verletzen. Solche Verfahren werden heute
vielfach in der Forschung eingesetzt, zum Beispiel, um die Gehirnaktivität zu messen oder die
Beschaffenheit von Organen zu analysieren. So lässt sich beispielsweise in einem Tierversuch
überprüfen, ob ein potenzieller Wirkstoff gegen Depression die Gehirnaktivität verändert, ohne
das Tier zu verletzen. Die Auflösung der Bilder ist jedoch nicht hoch genug, um damit einzelne
Zellen beobachten oder gar in Zellen hineinsehen zu können. Warum manche Menschen an
Alzheimer erkranken und andere nicht, lässt sich nicht mittels Kernspintomografie herausfinden.
All diese Alternativen basieren zudem selbst auf Erkenntnissen, die aus Versuchen an Tieren
stammen. Ohne Tierversuche gäbe es also keine Computermodelle, Zellkulturen oder bildgebende Verfahren. Tierversuche sind weiter nötig, um diese Verfahren zu verbessern und deren
Vorhersagekraft zu erhöhen, damit sie zukünftig noch häufiger Tierversuche ersetzen können.
Welche Untersuchungen an Tieren vorgenommen werden, hängt von der jeweiligen Forschungsrichtung
ab. Als Tierversuch zählt heute auch, wenn Forscher das Erbgut eines Tieres verändern,
um so beispielsweise die Rolle eines Gens bei der Entstehung von Krebs zu verstehen.
So werden auch die Tiere mitgezählt, die für die Zucht genetisch veränderter Tierstämme notwendig
sind, wenn für das Tier aufgrund der genetischen Veränderung eine Belastung zu erwarten
ist. Dabei müssen die Tiere nicht selbst Teil eines experimentellen Eingriffs sein (siehe auch
dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/050/1805077.pdf ). In anderen Versuchen wird das
Gehirn von Tieren mittels Kernspintomografie untersucht, einer Untersuchung, die auch in der
Medizin zum Einsatz kommt. Als Tierversuche können auch Verhaltensexperimente gelten, in
denen sich Tiere in einem Labyrinth zurechtfinden oder ein Computerspiel lernen sollen. Auch
die Abnahme von Blut oder die Verabreichung von Medikamenten wird als Tierversuch gewertet.
Versuche, in denen operative Eingriffe an Tieren vorgenommen werden, sind im Vergleich zu
den nicht oder nur wenig belastenden Versuchen seltener. Die Bedingungen, unter denen
Wissenschaftler solche Eingriffe vornehmen, entsprechen – insbesondere bei hochentwickelten
Säugetieren – denen, die auch bei Operationen am Menschen vorgeschrieben sind. Die Tiere
werden unter sterilen Bedingungen unter Vollnarkose operiert.
Wirbeltiere haben nach dem heutigen Stand wissenschaftlicher Kenntnisse ein Schmerzempfinden,
das mit dem des Menschen vergleichbar ist. Je näher ein Tier dem Menschen entwicklungsgeschichtlich
steht, desto eher kann man davon ausgehen, dass es Schmerzen nicht nur wahrnimmt,
sondern dass es auch subjektiv leidet. Wissenschaftler unternehmen bei der Planung und Durchführung
ihrer Experimente alles, um die Belastungen ihrer Versuchstiere so gering wie möglich zu
halten. Das ist auch deshalb wichtig, weil Versuchsergebnisse nur dann aussagekräftig sind, wenn
sie von schmerz- und angstfreien Tieren stammen. Wenn Forscher nicht ausschließen können, dass
ein Versuch Schmerzen auslöst, verabreichen sie den Tieren schmerzlindernde Medikamente oder
führen das Experiment unter Narkose durch. Trotzdem belasten manche Tierversuche natürlich die
betroffenen Tiere. Der Belastungsgrad ist bei jedem Antrag auf Tierversuche anzugeben und bei der
Bewertung der ethischen Vertretbarkeit eines Versuches entscheidend. Dieser Belastung stehen
letztendlich das Leid und die Schmerzen von Menschen gegenüber, die an bislang unheilbaren
Erkrankungen leiden. Jeder Tierversuch bedeutet also ein Abwägen zwischen dem Leid für das
Tier und dem Erkenntnisgewinn sowie dem möglichem Nutzen für den Menschen. Letztendlich
entscheidet unsere Gesellschaft, welchen Nutzen sie im Gegenzug für tierisches Leid erwartet.