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Fiasko21

Journalisten fragen. Wissenschaftler antworten. Und die Zuschauer werden verdummt. 

Am 18. April 2009 trat Joachim Bartz, Redakteur der ZDF-Sendung Frontal21, mit der Bitte an uns heran, Filmaufnahmen in den Laboren der Abteilung "Physiologie kognitiver Prozesse" des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik zu machen. Er erklärte, dass er die überaus heikle Thematik der Tierversuche objektiv darstellen wolle. Herr Bartz hat gegenüber vier Mitarbeitern unseres Instituts erläutert, dass es das Ziel der Sendung wäre, die Öffentlichkeit sachlich über das Thema "Tierversuche mit Affen" zu informieren.

Wir haben dem ZDF daraufhin im Vertrauen auf eine sachliche Berichterstattung Dreharbeiten ermöglicht. Herr Bartz und sein Team haben einen chirurgischen Eingriff, vier Kognitions-Experimente mit nicht-humanen Primaten sowie die Tierhaltung im Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik gefilmt. Zudem hat Herr Logothetis in einem ausführlichen Interview die Forschung beschrieben. Wir wollten mit diesem Schritt die zu Recht von der Öffentlichkeit geforderte Transparenz über unsere Forschung herstellen und in der sehr emotional geführten Diskussion über Tierversuche sachliche Argumente liefern. Unser Vertrauen wurde jedoch vom verantwortlichen Redakteur Joachim Bartz enttäuscht und missbraucht. Im Beitrag sind nur die sehr emotionalisierenden Bilder zu sehen, auf die Forschung wird überhaupt nicht eingegangen, der gesamte Beitrag ist suggestiv und lässt wichtige Argumente aus, obwohl diese Argumente während des Interviews geliefert worden sind. Durch die verzerrte und wertende Darstellung wird dem Zuschauer die Möglichkeit genommen, sich auf Grundlage objektiver Information eine eigene Meinung zu bilden. Wer von Ihnen die Frontal21‐Sendung gesehen hat, sollte bitte folgende Fakten mitberücksichtigen:

1. Das ZDF filmte eine Operation an einem nicht-humanen Primaten. Nikos Logothetis demonstrierte und erklärte die Implantate vor der Kamera. Er erklärte im Detail die einzelnen Vorgänge und die extensive Forschungsarbeit, die im Vorfeld erforderlich war, um fast perfekte transkutane Implantate zu erhalten, die das uneingeschränkte Wohlergehen der Versuchstiere sicherstellen. Das ZDF hat dieses Filmmaterial nicht ausgestrahlt.
 
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Filmaufnahmen des ZDF aus dem Operationssaal

 
 
2. Das ZDF filmte unsere Primateneinrichtungen, die ähnlich derer in Zoos sind. Unsere Affen wurden auch beim gemeinsamen Spiel und der gegenseitigen Fellpflege gefilmt. Dabei ließen sie sich von den Besuchern und ihren Kameras nicht im Geringsten stören. Dieses Verhalten der Tiere vor der Kamera beweist, dass die Tiere stressfrei und völlig ungezwungen leben. Sie zeigen keinerlei Tendenz zu Selbstverstümmelung, exzessiver Aggression und stereotypen Bewegungsmustern (typisch für traumatisierte Tiere in Käfigen ist beispielsweise ein ständiges Auf- und Abgehen). Auch dieses Filmmaterial wurde vom ZDF nicht gesendet.

Filmaufnahmen des ZDF aus dem Tierhaus

 
 
3. Nikos Logothetis hat in einem ausführlichen Interview die Ziele seiner Forschung, sowie die bereits erzielten Erfolge und deren Einfluss auf die angewandte Forschung und die Medizin dargelegt. Grundlagenforschung in der Biologie ist zwar nicht auf konkrete Anwendungen sondern auf das grundlegende Verständnis von biologischen Vorgängen im Körper ausgerichtet. Dieses Verständnis ist jedoch essentiell, um überhaupt Anwendungen für den Menschen möglich zu machen. Dies erschließt sich sofort, wenn man bedenkt, dass es ohne das Verständnis für das Immunsystem nie möglich wäre, einen Impfstoff zu entwickeln. Herr Logothetis hat mehrere Anwendungen aus der neurowissenschaftlichen Forschung genannt, die zeigen, dass der Nutzen der Forschung keineswegs vage oder die Forschung an sich zwecklos ist, wie im Beitrag behauptet. Das Zitat von Herrn Logothetis wurde unserer Meinung nach also absichtlich so beschnitten, dass der letzte, wichtige Teil nicht mehr zu hören war und damit ein absichtlich falsches Bild entsteht.
Der Sprecher im Beitrag spricht von „quälendem Durst“, mit dem die Affen zum Mitmachen in den Experimenten gezwungen würden. Dies verkehrt die tatsächlichen Verhältnisse völlig. Die kurzfristige und von Tierärzten streng überwachte Wasserdeprivation wird dazu eingesetzt, um den Tieren einen Anreiz zur Mitarbeit in den Experimenten zu geben. Da Rhesusaffen auch in der Natur oft lange Strecken zurück legen müssen, um zur nächsten Wasserstelle zu gelangen, sind sie physiologisch an diese Wasserdeprivation angepasst. Nikos Logothetis hat ausführlich dargelegt, was „durstig“ im Kontext der Physiologie und der natürlichen Lebensweise eines Affen bedeutet. Ein Vergleich mit einem Durst leidenden Menschen, der hier suggeriert wird, ist also falsch. Herr Logothetis stellte weiterhin klar, dass wenn von Forscherseite gesagt wird, die Affen würden „gezwungen“ etwas zu tun, das nur heißt, dass sie für ein paar Stunden am Tag im Versuchs-Stuhl sitzen müssen. Er erläuterte, dass die Experimente nur deshalb funktionieren, weil die Affen die ihnen gestellten Aufgaben bereitwillig ausführen, und dass niemand einen Affen dazu zwingen kann, etwas zu tun, wenn das Tier gestresst ist, Schmerzen hat oder leidet – oder auch ganz einfach nur eine ihm gestellte Aufgabe nicht ausführen will. Alle diese Informationen wurden vom ZDF ignoriert. Stattdessen wird im Beitrag behauptet: „Die Affen bekommen vor den Experimenten kaum etwas zu trinken, haben daher quälenden Durst. Während des Experiments dürfen sie ein wenig Saft trinken. Nur so fügen sie sich in ihr Schicksal.“ Das ZDF filmte auch einen Affen, der nach dem Experiment in seinem Primatenstuhl Wasser zu trinken bekam. Auch dieses Filmmaterial wurde vom ZDF nicht gesendet.
 
4. Im Beitrag wird behauptet, dass die Tierversuche im Geheimen ohne öffentliche Kontrolle von Sinn und Nutzen stattfinden. Dies ist absolut falsch. Jeder Tierversuch erfordert ein ausführliches und kompliziertes Antragsverfahren bei den zuständigen Behörden. Dies wurde Herrn Bartz vom Regierungspräsidium Tübingen und von Herrn Logothetis erklärt. Das ZDF hat all dies einfach weggelassen. Stattdessen war die Rede von „intensiver Lobbyarbeit“: „Es geht um viel Geld, wissenschaftliches Prestige und Karrieren. Für die Affen und all die anderen Tiere – um ein ganzes Leben unter Qualen – für die zweckfreie Forschung.“
Das ZDF versuchte, die DFG und ganz allgemein das deutsche Forschungs- und Bildungssystem zu diskreditieren, indem die Fernsehleute suggerierten, hinter allem stecke das große Geld, und andeuteten, dass die DFG fragwürdige Lobbyarbeit betreibe und unsere Ergebnisse wertlos seien, usw.  Es hat uns sehr betroffen gemacht zu erleben, wie solche Propagandawerkzeuge zur Verzerrung der Wahrheit von einer öffentlich-rechtlichen Institution benutzt werden, deren ureigenster Auftrag darin besteht, der Öffentlichkeit ausgewogene, solide Informationen zu liefern (siehe §§ 5 und 6 des ZDF Staatsvertrages). Obwohl den Mitarbeitern des ZDF von uns so viele Informationen zur Verfügung gestellt wurden, präsentierten sie unsere Arbeit nur als ständige und sinnlose „Qual“ für unschuldige Tiere, wodurch sie die Max-Planck-Gesellschaft und die Grundlagenforschung im Allgemeinen diffamierten.
Es ist wirklich traurig, dass Millionen Bürger nicht die Möglichkeit erhielten, Fakten über Tierexperimente zu hören und etwas über ihre Bedeutung und ihren Nutzen für unsere Gesellschaft zu erfahren. Die Öffentlichkeit protestiert, verlangt nach ausreichenden und exakten Informationen. Das Institut hat sich redlich darum bemüht, diesem Mangel an Informationen beizukommen. Leider muss sich das Institut eingestehen, dass das Gegenteil eingetreten ist: Journalisten fragen. Wissenschaftler antworten. Und die Zuschauer werden verdummt.
Was auch immer man vom Medium „Fernsehen“ und seiner Qualität halten mag, es ist nun einmal eine Tatsache, dass die meisten Menschen sich auf das Fernsehen als wichtige Informationsquelle verlassen, wenn es um Probleme, Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten geht. Dieser Rolle ist das ZDF in der Sendung vom 19. Mai nicht gerecht geworden.


Die Öffentlichkeit sollte folgendes wissen


1. Tierversuche können in Deutschland nur unter den Bedingungen professioneller Forschung durchgeführt werden. Viele, aber längst nicht alle Tierversuche sind als Grundlagenforschung einzustufen, und die Grundlagenforschung wird vom sehr strengen deutschen Tierschutzgesetz ausdrücklich unterstützt.

2. Über die rationale Begründung, die Qualität und die Notwendigkeit von Tierversuchen entscheiden unabhängige, von der Regierung bestellte Gutachtergremien. Dass diesen Kriterien Rechnung getragen wird, zeigen auch die zahlreichen hervorragenden Publikationen der jeweiligen Forschungseinrichtungen.

3. Die Balance zwischen den „Notwendigkeiten der Forschung“ und dem „Wohlergehen der Tiere“ wird sowohl auf nationaler und auf europäischer Ebene als auch von den zuständigen lokalen Behörden mit Sorgfalt beurteilt.

4. Die in den Einrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) durchgeführte Forschung hält sich an das Regelwerk der MPG und entspricht den in der EU und in Deutschland existierenden Standards.

5. Ausdrücke wie „translationale“ Forschung oder gar „zielorientierte“, kurzfristige angewandte Forschung sind irreführend. Die sogenannte translationale Forschung soll per Definition zu Ergebnissen führen, die sich sehr bald praktisch anwenden lassen. Dieses Konzept ist meistens unrealistisch. Es spiegelt die Ängste der Geldgeber aus der Industrie oder dem Bildungssystem wider, die befürchten, dass sich ihr Investment nicht richtig lohnen könnte. Keine Investition in die Forschung hat kurzfristig die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt. Doch im Laufe der Zeit, wenn immer mehr Wissen akkumuliert, führt die Forschung zu neuen wichtigen und manchmal auch bahnbrechenden Erkenntnissen.

6. Es gibt momentan noch keinen Ersatz für Tierversuche in der Neurobiologie. Ohne langwierige experimentelle Untersuchungen lassen sich auch keine Ersatzmethoden entwickeln. Das gilt zumindest für das Gebiet der Neurowissenschaft, wo grundlegende strukturelle und funktionelle Probleme im zentralen Nervensystem angegangen werden. Mangelt es an Erkenntnissen, mangelt es auch an Heilmitteln.