Tierversuche in der biomedizinischen Grundlagenforschung

Diskussionen über Tierversuche werden höchst emotional und damit auch zu einem gewissen Grad irrational geführt. Ein Grund dafür ist die Diskrepanz zwischen dem, was wir (als Gesellschaft und Einzelner) unserer rationalen Einschätzung nach tun müssen, und dem, was wir unserer Intuition nach gerne tun würden.

Laut den Worten des Nobelpreisträgers David Hubel sehen wir die Natur gerne blauäugig und naiv und nicht, wie sie wirklich ist. Ob es uns passt oder nicht: Katzen oder Boa constrictors sind Fleischfresser. Gleich welches Tier man daheim hält - man muss beiden Fleisch zu fressen geben, damit sie überleben. Der Halter der Schlange empfindet vielleicht Mitleid mit der Maus - letztendlich steht er aber vor der Alternative entweder zuzulassen, dass die Maus stirbt, oder zuzulassen, dass die Boa hungert. Vergleichbare Probleme gibt es überall: Wir töten Termiten, oder die Termiten fressen unsere Häuser. Wir jagen Rehe und Hirsche oder sie vermehren sich so stark, dass ihre Nahrungsgrundlage nicht mehr ausreicht und sie hungern. Wir töten Ratten und andere Plagegeister oder wir müssen die Pest und andere Krankheiten ertragen.

Wie wir sehen, gilt es, auf irgendeine Art und Weise unsere natürliche Abneigung gegen die Zerstörung von Leben mit praktischen Notwendigkeiten in Einklang zu bringen. Hubel zitiert zu Recht Shakespeares Beschreibung von König Lear als den Mann, „der aus lauter Gütigkeit gegenüber seinem Pferd Butter an sein Heu tat“.

Um zu überleben, müssen wir das, was wir tun, optimieren. Und um unsere Handlungen zu optimieren, müssen wir zunächst zu Erkenntnissen über unseren Lebensraum gelangen. Das gleiche gilt für die Sicherung der Gesundheit und Lebensqualität von Menschen: Es geht nicht ohne die Erforschung lebender Organismen. Um dies zu gewährleisten, muss Grundlagenforschung unter optimalen Bedingungen durchgeführt werden können.

Es ist einerseits offensichtlich, dass die Grundlagenforschung nur insoweit frei sein kann, wie sie nicht mit anderen in der Verfassung verankerten Rechten oder ethischen und moralischen Standards der Gesellschaft kollidiert. Bei diesen Standards liegt genau die Quelle des Konflikts. Es gibt eine Gruppe von Bürgern, die es als unethisch empfindet, biomedizinische Experimente an lebenden Organismen durchzuführen. Ihnen gegenüber stehen die Mitbürger, die eine solche Forschung für unverzichtbar halten, um die medizinischen Versorgung und Lebensqualität zu verbessern.

Meinungsverschiedenheiten sind in einer demokratischen Gesellschaft durchaus willkommen. Einige Tierversuchsgegner behaupten allerdings, Tierversuche seien selbst in der medizinischen Forschung nutzlos. Reine Grundlagenforschung ist in ihren Augen ein Verbrechen. Diese extreme Polarisierung ist eine völlige Verzerrung der Realität.

Es würde einer ganze Bücherreihe erfordern, um die Leistungen der Tierforschung für die Medizin aufzuzählen. Einige Beispiele haben wir hier genauer erklärt. Des weiteren gehören dazu:


Medikamente
  • die Immunisierung gegen Polio, Diphtherie, Röteln und Hepatitis
  • der Schutz vor einer großen Zahl von Mikroorganismen durch Breitbandantibiotika und anderen Medikamenten
  • die Verhinderung von Schmerz durch Anästhetika und Analgetika
  • die Arzneimittel bei Asthma, Epilepsie und psychatrischen Erkrankungen
 
Therapien
 
Medizintechnik
 
Ein Großteil der biomedizinischen Grundlagenforschung erfolgt heute mit tierversuchsfreien Methoden. Einige wichtige Fragen unserer Zeit lassen sich aber nur mit Hilfe von Tierversuchen beantworten. Die aktuelle Forschung an Tieren gibt zahlreichen Menschen Hoffnung, die an Krankheiten wie Krebs, Diabetes, verschiedenen Infektionskrankheiten, AIDS, Mukoviszidose, Parkinson, Amyotropher Lateralsklerose (ALS) oder Alzheimer leiden. Es ist größtenteils der Tierforschung zu verdanken, dass die Lebenserwartung von 1900 bis heute von 52 Jahren auf 82 Jahren (Frauen) angestiegen ist und sich unsere Lebensqualität stetig verbessert hat (Quelle: Statistisches Bundesamt) .

Die Auswirkungen eines Tierversuchsverbotes auf Gesellschaft, Medizin und Fortschritt sind nicht absehbar. In jedem Fall würden die Chancen erheblich vermindert, dass Patienten mit bisher unheilbaren Krankheiten in absehbarer Zeit auf Therapien hoffen können, die aufgrund eines ausreichenden Verständnisses wirklich zu einer Heilung führen.